Ton in Ton

Feierabendverkehr auf der Autobahn A1. Die lange Reihe der Rücklichter bewegt sich bis zum Horizont, fast wie die roten Lämpchen auf meinem Volca Keys. Im Takt sind jedoch nur die Songs der Classics-Playlist, die uns während der Fahrt auf das Konzert in Langenthal einstimmen.

Schön, im heimeligen Chrämerhuus, vom ewig drohenden Baggerzahn verschont und seit vielen Jahren ein Kulturzentrum, mit dem Volca Massaker Orchester auftreten zu dürfen. Rasch sind unsere Geräte dank engagierter Unterstützung der Veranstalter aufgebaut und verkabelt.

Soundcheck. Daniels wuchtige Bassdrum macht wie gewohnt den Auftakt. Nick schraubt noch konzentriert an seinen Geräten. Erst nach und nach produziert er Töne. Oder war das schon Maru mit dem Volca Sample? Ganz vorsichtig öffne ich die Lautstärke. Wow, die Anlage ist fantastisch. Ja, ja, ich höre mich gut, kann ich bestätigen. Könnte man das leichte Rauschen nicht wegbringen, fragt der Tontechniker? Kaum, erklärt Daniel, dass sei bei diesen kleinen Geräten nicht zu vermeiden, beim Spielen aber nicht mehr zu hören.

Aber so weit ist es noch nicht. Das Konzert beginnt erst nach dem Abendverkauf um halb zehn. Beim Essen kommen wir bald ins Philosophieren, holen die Gespräche nach, die sich bei den Proben jeweils auf das Wesentliche beschränken. Ob wir einen Backstage-Raum benötigen, um uns vorzubereiten und die orangefarbenen Overalls überzuziehen? Wunderbar.

Dann stehen wir an unseren Geräten. Es wird dunkel, los geht es, zu Beginn noch vorsichtig abtastend, dann langsam immer farbiger, vielschichtiger, wie ein Zug, der Fahrt aufnimmt. Die Gespräche am Tisch setzen sich in unseren Improvisationen fort, nur dürfen wir jetzt alle gleichzeitig reden. Das ergibt mitunter schräge Zwischentöne, steigert sich dann aber irgendwann in einen berauschenden Groove. Der Zug donnert über Brücken und durch Tunnels, rumpelt über Weichen. Kurze Blicke bestätigen, jetzt passt es, so könnte es bleiben.

Dann nimmt Daniel wieder Gas weg, langsam werden wir leise. Ich lösche in Windeseile die mit dem Step-Sequenzer gespeicherten kurzen Phrasen. Nur ja nicht vergessen, die nun leeren Memory-Positionen zu speichern, sonst jault später plötzlich eine ganz sicher unpassende Melodie auf. Schon erklingen die ersten Takte des nächsten Stücks. Ich warte ab, stelle die Regler meines kleinen Synthesizers wieder in die Grundposition, um sie dann beim Spielen so zu verändern, dass meine kurzen Patterns etwas «dreckiger» werden, wie es Daniel an der letzten Probe angeraten hatte.

Die Techno spezifischen Töne und Muster zu finden, ist anspruchsvoll. Ich kann nicht wie beim Jazz in meiner Bibliothek amtlich bewilligte Licks und Standards abrufen. Ich bin ja erst seit Kurzem daran, mein in diesem Genre noch sehr elementares Wörterbuch zu erweitern. So bin ich dankbar für Hinweise und habe auch nichts dagegen, wenn mir Nick mitten in einem Stück zuruft, ich müsse den Decay/Release-Regler zurückdrehen, damit die Töne kürzer und knackiger würden.

Von Stück zu Stück tauche ich tiefer in die Klangwolke, bis scheinbar auch Maru und Nick das Gefühl haben, jetzt seien wir am Ende der Fahrt. Doch Daniel lässt noch keine Entspannung zu, im Gegenteil, er beginnt einen neuen Song und lässt das Konzert in einem furiosen Accelerando ausklingen.

Noch etwas benommen nehme ich Applaus wahr, komme wieder in der Wirklichkeit an. Wir bauen unsere Instrumente ab. Ein Mitarbeiter des Restaurants bietet ein ofenwarmes Guetzli an. Das Foto der Band vor den Bildern von Nicks Vater, Ton in Ton mit unseren Overalls. Händeschütteln. Danken. Dann die Fahrt nach Bern über die inzwischen etwas ruhigere Autobahn. Abschied nehmen. Heimkommen. Erzählen. Der Versuch einzuschlafen.