Volca Massaker Orchester

Der dumpfe Puls wird langsam lauter. In einer Ecke unter dem Mischpult scheint ein Etwas leise schnaufend zu erwachen. Es summt beim Ein- und Ausatmen, kratzt am Boden, dehnt sich stöhnend und beginnt, als würde es mit dem grossen schuppigen Schwanz eines Reptils auf den Boden schlagen,  den Puls zu begleiten.

Es öffnet die Augen, versucht mit den Tatzen die kurzen Melodiefetzen zu erwischen, die in immer rascherer Folge durch die Luft schiessen, abgelöst von Hornklängen, angeschlagenen Saiten, Quietschen, Schnarren, sphärischen Klängen, Trommeln, tiefen Bässen, jedes zuerst für sich allein, sogleich wieder im Raum verschwindend, um in einer anderen Ecke wieder aufzutauchen und schliesslich mit allen anderen Klangwesen immer mehr zu einem Miteinander findend. 

Die Klänge erzählen, lachen, streiten, fragen, antworten, treffen sich wieder im wabernden Klangteppich, der nun den Raum einrollt, die Zeit anhält, alle darin sichtbaren und verbogenen Wesen im gleichen Rhythmus atmen lässt, bis ein nicht zu beschreibender fremder Ton die Harmonie unterbricht, den Teppich wieder aufrollt, alle Klänge wild durcheinander fliegen lässt, um sich in einer der vielen Ecken des Raums zu verkriechen, nur noch leise klingend, so dass nur noch der ursprüngliche Puls zu hören ist. 

Das unsichtbare Wesen ist jetzt ganz erwacht, präsent. Es beherrscht den Raum, kann nun leiser werden, sich auf die konzentrierte, abwartende Aufmerksamkeit der anderen verlassen. So wechselt es unvermittelt den Rhythmus, fordert die Klänge auf, ihre Farbe zu wechseln, das Gespräch aus einer anderen Perspektive fortzusetzen, neue Gedanken einzubringen, sich anderen Standpunkten zu öffnen, deutlicher zu werden oder sich für einmal eher zurückzuhalten, dann in einen Groove zu finden, diesen einen Weile laufen zu lassen, um dann wieder einzugreifen, zu beruhigen und das Spiel wieder von vorn zu beginnen.

Nach einer knappen Stunde löst sich alles auf. Hier noch ein Ton, dort ein paar letzte Beats. Aufatmen, ein Lachen, Entspannung, die Probe ist offenbar zu Ende, Stecker werden aus den Geräten entfernt, Kabel zusammengerollt. Die Lämpchen erlöschen ebenso formlos und ohne Zeremoniell wie sie zu Beginn der Probe eines um das andere aufflackerten und während des Spiels den Zuschauenden mit unergründlichem Code verwirrten.

Das Volca Massaker Orchester trifft sich in einem Lagerhaus im Westen von Bern, das ursprünglich dem Detailhändler gehörte, nach dem die bekannteste Ecke Berns benannt ist. Nun besteht das Haus aus Ateliers und Räumen, wo sich kreativ arbeitenden Menschen entfalten, austoben und treffen können. Der Proberaum der Band befindet sich unter dem Dach ganz zuhinterst im Gebäude. Keine Fenster, nur eine Tür zum obersten Podest der Feuertreppe, ideal, um vor der Probe noch kurz eine Zigarette zu rauchen. Die Wände und die Decke sind schallisoliert. Unter vor Staub schützenden Tüchern sind Keyboards zu vermuten. Ein Mischpult mit Bildschirmen, elektronische Geräte in Gestellen und die Lautsprecher hinten an der Wand dominieren den wohl auch als Tonstudio genutzten Raum.

Nacheinander treffen die Bandmitglieder ein, beginnen nach kurzer, vertrauter Begrüssung und der Vorstellung des Zuhörers ihre Stehpulte aufzubauen, eine Art Notenständer mit horizontal gestellten Auflageflächen. Statt Gitarren, Bässe oder Blasinstrumente auszupacken, stellen sie kleine elektronische Geräte mit Tasten und Drehreglern auf die Pulte, eben diese Volca Synthesizer von Korg, welche die Band bei der Wahl ihres Namens inspiriert haben mussten. Massakriert sehen die kleinen Maschinen gar nicht aus, im Gegenteil, sie scheinen sie eine vorsichtige und sanfte Behandlung zu fordern. Der Kabelsalat ist noch wilder als an meinen Bandproben, doch Stück um Stück wird entwirrt, finden die Stecker die richtige Klinke. Das geschieht routiniert, kaum ein Wort wird gesprochen, alle sind hochkonzentriert, nicht einmal ein für den Aussenstehenden wahrnehmbarer Soundcheck und natürlich auch kein Stimmen der Geräte. Alle sind hinter ihren Pulten aufgestellt, die Aufnahme wird vorbereitet, um die ausschliesslich improvisierte Musik festzuhalten. Vereinbart wird lediglich die Tonart. Das geheimnisvolle Tier kann erwachen.

Nach der Probe eine kurze Diskussion über den nächsten Gig auf dem Waisenhaus, während gleichzeitig die ganze Installation abgebaut wird, Geräte, Kabel und Stehpulte in Taschen verschwinden. Ein neues Mitglied der Band erhält einen orangefarbenen Overall, der jeweils zu den Auftritten getragen wird. Mit dem Warenlift fährt die Band mit ihrer Ausrüstung und dem Besucher wieder in den Alltag zurück. Ein kurzer Abschied in der Dunkelheit vor dem Lagerhaus, und schon ist das Massaker vorüber.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert